Hagen. Vom 17. bis zum 21. April 2023 trafen sich 34 Schülerinnen und Schüler in Begleitung ihrer zehn Lehrkräfte an der Kaufmannsschule II in Hagen. Ein Teil von ihnen besuchte die Kaufmannsschule II. Die anderen Schülerinnen und Schüler waren von der Zespół Szkół w Kietrzu aus Kietrz (Polen) und vom Istituto d'Istruzione Superiore Majorana aus Avola (Italien) für den gemeinsamen Austausch angereist. Unter dem Titel "Traces - Learning from past racism for a tolerant present and future" („Spuren - Aus dem Rassismus der Vergangenheit für eine tolerante Gegenwart und Zukunft lernen") beschäftigten sich die Schülerinnen und Schüler mit der Erinnerungskultur in ihren Ländern. Dieses Projekt, gefördert aus dem EU-Programm „Erasmus +“, hatte bereits im Oktober 2021 begonnen, als die Lehrkräfte der teilnehmenden Schulen Hagen besucht hatten. Die Bildungsreferentin Hanna Hittmeyer hatte ihnen dabei den Volksbund und Kriegsgräberstätten auf dem Remberg-Friedhof vorgestellt. Seitdem trafen sich die beteiligten Schülerinnen und Schüler bereits in Italien und Polen. Nun war Hagen an der Reihe.
Die Woche startete mit einer Begrüßung durch den Schuldirektor Armin Voß. Im Anschluss daran lernten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer den Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e. V. kennen. Im Rahmen eines Workshops der Bildungsreferentin Vanessa Schmolke erschloss sich die Gruppe anhand von Fotos, Dokumenten und Gegenständen die Aufgaben des Volksbundes. Ihre Ergebnisse und Ideen hielten sie auf Postern fest.
Schließlich erfuhren sie, was das deutsche Kriegsgräbergesetz regelt und welche Personen ein Kriegsgrab bekommen. Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft haben ein dauerndes Ruherecht als Mahnung und Warnung für die zukünftigen Generationen. Ein Kriegsgrab steht dabei jedoch nicht nur dem Soldaten zu. Im Zweiten Weltkrieg starben ebenso Zivilisten, Männer, Frauen und Kinder durch Luftangriffe oder auf der Flucht. Menschen, die vom Naziregime auf Grund ihrer "Andersartigkeit" wie Jüdinnen und Juden, Homosexuelle, Zeuginnen und Zeugen Jehovas u.s.w. verfolgt wurden, gelten als Opfer einer Gewaltherrschaft. Außerdem war es wichtig zu lernen, dass unter den Kriegsopfern nicht nur „Opfer“ beerdigt sind. Auch Personen, die Kriegsverbrechen begingen oder für die Massenmorde in den Konzentrations- und Vernichtungslagern verantwortlich waren, haben ebenso ein Recht auf ein Kriegsgrab, wenn sie durch Kriegseinwirkung starben.
Mit diesem Wissen konnte die internationale Gruppe am folgenden Tag im Rahmen einer Tagesexkursion auf die Kriegsgräberstätte Ysselsteyn (Niederlande) verstehen, warum sie dort neben Soldaten auch Frauen und Kinder vorfanden. Gemeinschaftlich erarbeiteten sie in einem Workshop einige Biografien von unterschiedlichen Personen, die auf der deutschen Kriegsgräberstätte Ysselsteyn beerdigt sind. Beispielsweise findet sich dort die Biografie des siebenfachen Familienvaters und Soldaten Georg Quass, der am 18. November 1944 nach seiner Verurteilung vom deutschen Kriegsgericht in Den Haag hingerichtet wurde. Aus „Feigheit“ soll er ihm untergebene Soldaten an die Alliierten übergeben haben. An anderer Stelle heißt es allerdings, er wollte Frauen und Kinder bei seinem Fronteinsatz schützen. Eine andere Person ist Anneliese Lehrmann, die sich als Zahlmeisterin in der Flughafenverwaltung verpflichtet hatte. Im Herbst 1943 wurde sie in den Niederlanden stationiert, von wo aus sie am 8. April 1945 auf dem Bahnhof Meppel den Zug zurück in die Heimat besteigen wollte. Als der Zug einfuhr, wurde der Bahnhof von englischen Jagdbombern angegriffen, wobei Anneliese Lehrmann durch eine Maschinengewehrkugel getötet wurde.
Die Kriegsgräberstätte in Ysselsteyn beeindruckt mit seinen über 30.000 Gräbern. Da auf einer Kriegsgräberstätte nicht nur Opfer ruhen, sondern auch Täter, ist der Ort oder das Gedenken umstritten. Auch die Teilnehmenden diskutierten diese Problematik. Am folgenden Tag ließen die Schülerinnen und Schüler die Zeit in Ysselsteyn Revue passieren. „Soldaten sind nicht Soldaten“ brachte die Hagener Projektkoordinatorin Sandra Hansen das Gelernte auf den Punkt. Man müsse zwischen denjenigen Soldaten, die Verbrechen begingen und denjenigen, die als „normale“ Soldaten ihren Dienst verrichteten, unterscheiden. Diese Tatsache wurde den jungen Erwachsenen vor Ort bewusst. Außerdem beeindruckten sie die Personen, die im Widerstand tätig waren oder Sabotageakte begingen.
Insgesamt stellte sich bei dem internationalen Projekt heraus, dass in Italien jährlich zum Gedenken am 27. Januar jede Schulform beteiligt wird. In Portugal wird das Fach Geschichte an den Schulen gar nicht angeboten. In ihrem Unterricht geht es je nach gewähltem fachlichen Schwerpunkt generell um Respekt und Toleranz in Zusammenhang mit gesellschaftlichen Fragen. Der Vergleich zwischen Italien und Deutschland zeigt, dass beide Länder die Geschichte sehr textlastig präsentieren, wohingegen der Geschichtsunterricht in Italien einen geringeren Zeitanteil einnimmt.
Das Projekt eröffnete neue Sichtweisen: während die Zeit von 1933 bis 1945 in Deutschland als die Zeit des Nationalsozialismus verankert ist, ist es in Polen die Zeit der Besatzung. Nach Portugal flüchteten Verfolgte des NS-Regimes.
Ihre Gesamteindrücke im Rahmen des Projektes verarbeiteten die Schülerinnen und Schüler auf Leinwänden, welche sie am letzten Tag ihren Mitschülern und Mitschülerinnen präsentierten. Die Projektergebnisse sollen in der Zentralen Gedenkstunde des Landes Nordrhein-Westfalen zum Volkstrauertag, die am 18. November 2023 in Hagen stattfinden wird, zu sehen sein.