Siegen. Als Kind das Grauen überlebt – so war der Studientag für Schüler und Auszubildende im Kreishaus in Siegen überschrieben. Die Zeitzeugin Michaela Vidláková berichtete von ihrer Kindheit im Konzentrationslager Theresienstadt, wohin sie gemeinsam mit ihren Eltern im Alter von nur sechs Jahren deportiert worden war. Die Jugendlichen waren zutiefst berührt von der beeindruckenden Lebensgeschichte, die Michaela Vidláková sehr anschaulich darstellte. Neben einigen Auszubildenden der Kreisverwaltung Siegen-Wittgenstein waren auch Kollegen des Kommunalen Integrationszentrums und des Personalrates, Auszubildende der Stadt Bad Laasphe, der Stadt Hilchenbach und der Stadt Siegen dabei und einige Schüler der Berufskollegs Wirtschaft und Verwaltung sowie ehrenamtliche Mitarbeiter und Ingolf Jost, Geschäftsführer Volksbund Deutscher Kriegsgräberfürsorge e.V. Kreisverband Siegen-Wittgenstein [der den Studientag maßgeblich mit vorbereitet hatte].
Absolute Stille herrschte in dem Besprechungsraum, in dem Michaela Vidláková von ihrer Kindheit in Prag erzählte, die nach und nach immer mehr durch die Schreckensherrschaft der Nazis geprägt war. Wie gebannt hörten die Jugendlichen und Erwachsenen zu. Dass die Juden im Protektorat Böhmen und Mähren irgendwann keine Haustiere mehr haben durften, dass Spielplätze und später auch der Schulbesuch für jüdische Kinder verboten waren und dass die kleine Michaela keine Spielkameraden mehr fand. Wie das Leben sich immer mehr einschränkte, wenn man Jude war. Die Juden durften nur noch in bestimmten Geschäften zu bestimmten Zeiten einkaufen, nicht mehr mit der Straßenbahn fahren und es gab noch viele weitere Einschränkungen, berichtete die Zeitzeugin. Anschließend erzählte sie von ihrer Deportation und der schlimmen Zeit im Konzentrationslager Theresienstadt. Sie selbst sagte: „Dieses Mädchen hat ein großes Glück gehabt“ – gemeinsam mit ihren Eltern hat sie überlebt. Heute macht sie sich für Frieden und Versöhnung stark, gemäß einer jüdischen Weisheit: „Das Geheimnis der Versöhnung heißt Erinnerung.“ Die Zuhörer ermahnte sie: „Ihr seid nicht verantwortlich für das, was damals passiert ist. Aber ihr seid für euch selbst und die Zukunft verantwortlich. Haltet zusammen und kämpft gegen die Gewalt, man darf so etwas nicht zulassen!“
Nach dem Bericht von Michaela Vidláková und der Mittagspause besuchten ca. 15 Teilnehmer das Aktive Museum Südwestfalen am Siegener Obergraben. Dort erfuhr die Gruppe mehr über den Beginn und die Entwicklung des jüdischen Lebens in Siegen seit Beginn des 19. Jahrhunderts, das mit der Judenverfolgung im Nationalsozialismus endete. Nur wenige der rund 200 Menschen zählenden Gemeinde überlebten Deportation und Konzentrationslager.
Im Anschluss an den Museumsbesuch begaben sich die Gruppe im Rahmen einer alternativen Stadtführung auf Spurensuche durch die Siegener Altstadt. Auch hier ging es um Orte jüdischen Lebens und des Widerstandes gegen das nationalsozialistische Regime. Auf der Runde fanden die Teilnehmer einige Stolpersteine und besuchten den Pfarrer-Ochse-Platz an der Marienkirche sowie den Marktplatz mit Blick auf das ehemalige Kaufhof-Gebäude, das noch in den 30er Jahren ein jüdisches Kaufhaus war. Zum Abschluss der Führung hielt die Gruppe an der Gedenkstätte für Pastor Theodor Noa an der Nikolaikirche einen Moment inne, um sich über dessen Leben und Widerstand zu informieren.
Fotos und Text: Pressestelle des Kreises Siegen-Wittgenstein
Hinweis: Der Studientag zum 27. Januar wurde mit vorbereitet durch den Kreisverband des Volksbundes in Siegen. Neben dem Volkstrauertag hat auch dieser Gedenktag eine große Bedeutung für den Volksbund. Auf den angesprochenen, sogenannten Stolpersteinen findet sich häufig der Deportationsort "Riga". Die Stadt war im Winter 1941/42 einer der ersten Deportationsorte von Menschen jüdischen Glaubens aus der Region Westfalen-Lippe. Die Mehrzahl dieser Menschen wurden dort umgebracht. An ihr Schicksal erinnert ein besonderes, vom Volksbund initiiertes, Städtebündnis, das Deutsche Riga-Komitee (www.riga-komitee.de).